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Stuart Newman at the CRISPR Symposium
2017-10-25
Die Moral hinter der Gen-Schere

„Man sollte eigentlich nicht an unserem Gen-Pool herumwurschteln.“ Ungefähr so lautete eine erste Antwort von Teilnehmern einer Studie, die ein Team um die Wissenschaftsforscherin Ulrike Felt von der Uni Wien durchgeführt hat. Es ging um die Anwendungsmöglichkeiten der berühmten Genschere CRISPR/Cas9  mit der spezielle Gene aus der Erbinformation DNA herausgeschnitten, ausgeschaltet, modifiziert oder repariert werden können – was in weiterer Folge Einfluss auf den Organismus und ganze Populationen von Arten vornehmen würde: im besten Fall, um Krankheiten zu heilen.  Doch die Probanden der Felt-Studie sind skeptisch:?Die Natur würde schon alles regeln, heißt es da.  „Wenn wir alle Menschen krankheitsresistent machen, dann gäbe es zu viele Menschen auf der Erde.“ 

Wer mehr weiß über die CRISPR/Cas9-Technologie, den lässt sie nicht kalt, dabei kann sie nicht wirklich mehr als andere, in früheren Jahren angewandte Methoden des Genome Editing. Sie ist nur leichter, flexibler und wesentlich billiger in der Handhabung – und regt daher zu ethischen Diskussionen an. Was darf man mit CRISPR? Was darf man nicht? Ist es zulässig, mit CRISPR in die Keimbahn einzugreifen? Die meisten Wissenschafter haben sich schon dagegen ausgesprochen und verlangen eine weltweite Regelung. Dass es möglich ist, wurde ja zuletzt bereits erwiesen.

In einem jüngst an  von der Uni-Wien-Forschungsplattform „Responsible Research and Innovation in Academic Practice“ um Ulrike Felt veranstalteten Tagung über die gesellschaftlichen Herausforderungen von CRISPR war man sich weitgehend einig, dass es Diskussionsbedarf gibt. Nur die zugänge konnten unterschiedlicher nicht sein. Der österreichische Genetiker Nikolai Windbichler, der am Imperial College in London unter anderem an der Anwendung von CRISPR zur Eindämmung von Malaria forscht, reflektierte  mit provokanten Gedakengängen auf die Sorgen der Symposionsteilnehmer. 

Jedes Gen hat ja normalerweise eine Fifty-fifty-Chance, sich bei Nachkommen fortzusetzen, mit CRISPR lassen sich Erbgänge produzieren, die nicht den Mendelschen Gesetzen gehorchen. So kann die Malaria übertragenden Stechmücke  unfruchtbar gemacht werden. Nikolai Windbichler: „Viele Menschen sind aufgrund dieses möglichen Eingriffs in die Natur zutiefst beunruhigt, ignorieren aber weitgehend, dass wir schon seit mehr als 50 Jahren Pestizide verwenden, was zu starken Veränderungen unter den Insekten führte.“ Die Stechmücken hätten Resistenzgene erzeugt, würden sich  anders verhalten als zuvor. „ihre Biologie ist anders.“ Windbichler weiter: „Wir leben im Anthropozän. Was haben wir nicht schon alles verändert, ohne darüber nachzudenken. 40 Prozent der Erdoberfläche, die eisfrei ist, verwenden wir für Landwirtschaft.“

Heißt natürlich nicht, dass man keine ethischen Richtlinien bei der Anwendung von CRISPR/Cas9 braucht. Für Windbichler geht es darum, den Leuten die Augen zu öffnen und den Blick auf das große Ganze frei zu machen. „Die Natur ist kein ein stabiles Szenario, wo das Theaterstück des Lebens abläuft. Die Natur ist Chaos.“ Es wäre jetzt ein Fehler, sich zurückzuziehen und zu meinen: „Man habe ohnehin schon zu viel eingegriffen.“

Ulrich Elling vom Institut für Molekulare Biotechnologie (IMBA) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, argumentiert abseits der Tagung ganz ähnlich: Man brauche einen emotionsloseren Zugang zu CRISPR/Cas9. Natürlicherweise überschreite man hier eine rote Linie der Gesellschaft, sagt er dem STANDARD, andererseits habe er großes Vertrauen, dass die Anwendung in einem ethisch vertretbaren Rahmen einmal so selbstverständlich werde wie es heute In-vitro-Vertilisation, die künstliche Befruchtung, sei. „Auch da gab es einmal eine rote Linie“.

 Der Zellbiologe Stuart Newmanvom New York Medical College, External Faculty am Konrad Lorenz Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung in Klosterneuburg, ist für strenge Regeln. „Es sollte keinesfalls möglich sein, in die Keimbahn einzugreifen“, sagt er. Er stellt einen Vergleich an: „Wenn wir mit Menschen, die erst geboren werden so verfahren, was passiert dann, wenn  bei der Optimierung ein Fehler geschieht? Wohl nicht, was wir mit einem Handy machen, wenn es aufgrund eines Produktionsfhelers ein kaputtes Display hat: Wir geben es zurück.“  

CRISPR gebe der Gesellschaft die Fantasie von Kontrolle über das Leben. Es sei eine Chance, Krankheiten zu heilen, die derzeit als unheilbar gelten. Man müsse aber auch die Risiken sehen und keinesfalls glauben, dass man alles über Gene erklären könne. „Das Leben besteht eindeutig aus mehr als nur aus Genen.“ 

Text von Peter Illetschko (der Standard)